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Gewähr Der Waffen
Morgan Rice


Ring der Zauberei #8
In GEWÄHR DER WAFFEN (Band #8 im Ring der Zauberei), ist Thor gefangen zwischen den gigantischen Kräften von Gut und Böse, als Andronicus und Rafi all ihre schwarze Magie anwenden im Versuch Thors Identität zu zerstören und die Kontrolle über seine Seele zu übernehmen. Unter ihrem Zauber muss Thor seinen bisher größten Kampf ausfechten – aus dem Schatten seines Vaters zu treten uns sich von den Ketten der dunklen Magie zu befreien. Doch dazu ist es womöglich schon zu spät. Gwendolyn wagt sich auf ihrer Suche nach Argon zusammen mit Alistair, Steffen und Aberthol tief ins Reich der Toten vor um ihn aus seiner magischen Falle zu befreien. In ihm sieht sie ihre einzige Hoffnung, Thor und den Ring zu retten; doch das Reich der Toten ist riesig und gefährlich, und der Versuch, Argon zu finden, scheint aussichtslos. Reece führt die Angehörigen der Legion in einer schier unmöglichen Mission an – zu tun, was noch niemals jemand getan hatte: in die Tiefen des Canyons hinabzusteigen und das verlorene Schwert zu suchen und zu finden. Bei ihrem Abstieg betreten sie eine neue Welt voller exotischer Monster und Rassen, die alle das Schwert für ihre eigenen Zwecke behalten wollen.





Morgan Rice

GEWГ„HRВ  DERВ  WAFFEN (Band #8 Im RING DER ZAUBEREI)




Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rices Büchern

“DER RING DER ZAUBEREI hat alle Zutaten die für sofortigen Erfolg nötig sind: Anschläge und Gegenanschläge, Mysterien, Edle Ritter und blühende Beziehungen die sich mit gebrochenen Herzen, Täuschung und Betrug abwechseln. Die Geschichten werden sie über Stunden in ihrem Bann halten und sind für alle Altersstufen geeignet. Eine wunderbare Ergänzung für das Bücherregal eines jeden Liebhabers von Fantasy Geschichten.”

–-Books and Movie Reviews, Roberto Mattos



“Rice hat das Talent den Leser von der ersten Seite an in die Geschichte hineinzusaugen. Mit ihrer malerischen Sprache gelingt es ihr ein mehr als nur ein Bild zu malen – es läuft ein Film vor dem inneren Auge ab. Gut geschrieben und von wahnsinnig schnellem Erzähltempo.”

–-Black Lagoon Reviews (zu Verwandelt)



“Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice hat gute Arbeit beim Schreiben einer interessanten Wendung geleistet. Erfrischend und einzigartig, mit klassischen Elementen, die in vielen übersinnlichen Geschichten für junge Erwachsene zu finden sind. Leicht zu lesen, aber von extrem schnellem Erzähltempo… Empfehlenswert für alle, die übernatürliche Romanzen mögen.”

–-The Romance Reviews (zu Verwandelt)



“Es packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht los…. Diese Geschichte ist ein erstaunliches Abenteuer voll rasanter Action ab der ersten Seite. Es gab nicht eine langweilige Seite.”

–-Paranormal Romance Guild (zu Verwandelt)



“Voll gepackt mit Aktion, Romantik, Abenteuer und Spannung. Wer dieses Buch in die Hände bekommt wird sich neu verlieben.”

–-vampirebooksite.com (zu Verwandelt)



“Eine großartige Geschichte. Dieses Buch ist eines von der Art, das man auch nachts nicht beiseite legen möchte. Das Ende war ein derart spannender Cliffhanger, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte um zu sehen, was passiert.“

–-The Dallas Examiner (zu Geliebt)



“Ein Buch das den Vergleich mit TWILIGHT und den VAMPIRE DIARIES nicht scheuen muss. Eines, das Sie dazu verleiten wird, ununterbrochen Seite um Seite bis zum Ende zu lesen! Wer Abenteuer, Liebesgeschichten und Vampire gerne mag, für den ist dieses Buch genau das Richtige!”

–-Vampirebooksite.com (zu Verwandelt)



“Morgan Rice hat sich wieder einmal als extreme talentierte Geschichtenerzählern unter Beweis gestellt… Dieses Buch spricht ein breites Publikum an, auch die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Es endet mit einem unerwarteten Cliffhanger der den Leser geschockt zurücklässt.

–-The Romance Reviews (zu Geliebt)



Гњber Morgan Rice

Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, eine elfteilige Serie fГјr junge Leser. Ihrer Feder entstammt auch die Nr. 1 Bestseller Serie TRILOGIE DES ГњBERLEBENS, eine post-apokalyptischer Thriller-Serie aus derzeit zwei BГјchern (man darf auf das Dritte gespannt sein) und die epische Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, das derzeit aus dreizehn BГјchern besteht und die Bestsellerlisten anfГјhrt.

Morgans Bücher gibt es als Audio oder Print-Editionen die in vielen Sprachen erschienen sind: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Schwedisch, Holländisch, Türkisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch – mehr Sprachen werden folgen.

Morgan freut sich, von ihren Lesern zu hören, darum besuchen Sie bitte www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com/) um sich für Email-Updates zu registrieren. Erhalten sie ein kostenloses Buch, Geschenke, laden sie die kostenlose App herunter und erhalten sie exklusiv die neusten Nachrichten. Oder folgen Sie Morgan auf Facebook und Twitter. Morgan freut sich auf Ihren Besuch!




BГјcher von Morgan Rice




DER RING DER ZAUBEREI


QUESTE DER HELDEN (Band #1)


MARSCH DER KГ–NIGE (Band #2)


LOS DER DRACHEN (Band #3)


RUF NACH EHRE (Band #4)


SCHWUR DES RUHMS (Band #5)


ANGRIFF DER TAPFERKEIT(Band #6)


A RITE OF SWORDS – RITUS DER SCHWERTER (Band #7)


A GRANT OF ARMS – GEWÄHR DER WAFFEN (Band #8)


demnächst auf Deutsch erhältlich


A SKY OF SPELLS – HIMMEL DER ZAUBER (Band #9)


A SEA OF SHIELDS – MEER DER SCHILDE (Band #10)


A REIGN OF STEEL – REGENTSCHAFT DES STAHLS (Band #11)


A LAND OF FIRE – LAND DES FEUERS (BAND #12)


A RULE OF QUEENS – DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (BAND #13)




DIE TRILOGIE DES ГњBERLEBENS


ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)


demnächst auf Deutsch erhältlich


ARENA TWO –  ARENA ZWEI (Band #2)




DER WEG DER VAMPIRE


GEWANDELT (Band #1 Der Weg Der Vampire)


VERGГ–TTERT (Band #2 Der Weg Der Vampire)


VERRATEN (Band #3 Der Weg Der Vampire)


BESTIMMT (Band #4 Der Weg Der Vampire)


BEGEHRT (Band #5 Der Weg Der Vampire)


demnächst auf Deutsch erhältlich


BETROTHED – VERMÄHLT (Band #6)


VOWED – GELOBT (Band #7)


FOUND  – GEFUNDEN (Band #8)


RESURRECTED  – ERWECKT (Band #9)


CRAVED  – ERSEHNT (Band #10)


FATED  – BERUFEN (Band #11)












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Copyright В© 2013 by Morgan Rice



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Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebendig, ist rein zufällig



Copyright des Titelbilds Razzomgame, unter Lizenz von Shutterstock.com


“Meine Ehre ist mein Leben, sie sind in eins verwachsen;
nehmt mir meine Ehre, so habt ihr mein Leben genommen.“
.”

В В В В --William Shakespeare
В В В В Richard II






KAPITEL EINS


Gwendolyn wappnete sich gegen den kalten, peitschenden Wind als sie am Rande des Canyons stand und ihren Fuß auf die Bogenbrücke setzte, die die Nördliche Querung überspannte. Die wackelige Brücke, die mit Eis überzogen war, bestand aus kaum mehr als ein paar abgenutzten Seilen und hölzernen Planken und schien kaum in der Lage sie tragen zu können. Gwen erschauderte beim ersten Schritt. Sie schlitterte und griff nach dem Brüstungsseil das im Wind schaukelte und kaum eine Hilfe war. Ihr Herz krampfte sich zusammen wenn sie daran dachte, dass diese wackelige Brücke ihr einziger Weg auf die nördliche Seite des Canyons war, um das Reich der Toten zu betreten und Argon zu finden. Die Querung erschien ihr mit einem Mal noch unheilvoller.

Ein plötzlicher Windstoß brachte das Seil so sehr zum Schaukeln, dass Gwen es mit beiden Händen ergriff und auf die Knie fiel. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, ob sie dazu in der Lage sein würde sich genug festzuklammern – geschweige denn sie zu überqueren. Sie bemerkte, dass es weitaus gefährlicher war als sie angenommen hatte und dass sie alle bei dem Versuch die Brücke zu überqueren ihr Leben aufs Spiel setzen würden.

„Mylady?“ hörte sie eine Stimme.

Gwen wandte sich um und sah Aberthol zusammen mit Steffen, Alistair und Krohn wenige Meter hinter sich stehen. Alle warteten sie auf Gwens Zeichen, ihr zu folgen. Die FГјnf waren eine sonderbare Gruppe wie sie da am Rande der Welt standen und einer unsicheren Zukunft und dem sehr wahrscheinlichen Tod entgegensahen.

„Müssen wir wirklich versuchen die Brücke zu überqueren?“, fragte er.

Gwendolyn sah ihn durch den Vorhang aus wirbelnden Schneeflocken hindurch an und zog sich dabei ihren Fellumhang enger um die Schultern. Sie zitterte. Insgeheim wollte auch sie die Brücke nicht überqueren; sie wollte diese Reise lieber gar nicht unternehmen. Sie würde sich viel lieber in die Sicherheit der Heimat ihrer Kindheit zurückziehen – King’s Court – hinter dicken Mauern vor einem wärmenden Feuer sitzen und sich um keine der Sorgen und Gefahren kümmern müssen, die über sie hereingebrochen waren seit sie Königin geworden war.

Doch natürlich konnte sie das nicht tun. King’s Court gab es nicht mehr, ihre Kindheit schien lange vorbei, und sie brauchten sie. Für Thorgrin würde sie wenn nötig durchs Feuer gehen. Und Gwendolyn war sich sicher, dass es nötig war. Sie brauchten Argon – nicht nur sie und Thor, sondern der ganze Ring.

Ihnen standen nicht nur Andronicus, sondern auch mächtige Zauber entgegen, mächtig genug, um Thor zu fangen. Und ohne Argon wusste nicht wie sie dagegen ankämpfen sollten.

„Ja“, antwortete sie. „Das müssen wir.“

Gwendolyn wollte gerade zum nächsten Schritt ansetzen als Steffen ihr den Weg versperrte.

„Mylady, bitte, lasst mich zuerst gehen“, sagte er. „Wir wissen nicht, was uns auf der Brücke erwartet.“

Gwendolyn war gerГјhrt von seinem Angebot, doch sie schob ihn sanft zur Seite.

„Nein“, sagte sie. „Ich gehe zuerst.“

Sie wartete nicht länger und hielt sich am Seil fest und machte den nächsten Schritt.

Als sie weiterging spürte sie, wie das Eis ihre Hand gefror und sich tief in sie hineingrub. Die Kälte schoss in ihre Handgelenke und Arme. Sie atmete scharf ein und war sich nicht sicher, ob sie sich länger festhalten konnte.

Ein weiterer WindstoГџ traf die BrГјcke und sie schlingerte schwer. Gwendolyn musste den Schmerz des Eises aushalten, um nicht herunterzufallen. Sie bemГјhte sich mit aller Kraft darum, das Gleichgewicht zu behalten als ihre FГјГџe Гјber die eisbedeckten Planken unter ihr rutschten. Die BrГјcke schaukelte schwer nach links, und einen Moment lang war sie sicher, dass sie gleich herunterfallen wГјrde. Doch die BrГјcke schaukelte zurГјck in die andere Richtung.

Gwen ging wieder auf die Knie. Sie war kaum drei Meter weit gekommen, ihr Herz schlug so heftig, dass sie kaum atmen konnte und ihre Hände waren so kalt, dass sie sie kaum noch spüren konnte. Sie schloss ihre Augen, holte tief Luft, und dachte an Thor. Sie sah sein Gesicht vor sich. Sie klammerte sich an ihre Liebe zu ihm. An ihre Entschlossenheit, ihn zu befreien. Was auch immer dazu nötig sein würde.

Was auch immer nötig ist.

Gwendolyn öffnete ihre Augen und zwang sich vorwärts zu gehen. Sie hielt sich am Seil fest und war fest entschlossen, diesmal für nichts und niemanden mehr stehen zu bleiben. Der Wind und der Schnee könnten sie in den Abgrund stürzen. Doch ihr war das egal. Es ging nicht mehr um sie; es ging um die Liebe ihres Lebens. Für ihn würde sie alles tun.

Gwendolyn spГјrte, wie die BrГјcke hinter ihr ins Wanken geriet. Sie warf einen Blick Гјber die Schulter und sah, dass die anderen ihr folgten. Krohn rutschte und schlitterte an den anderen vorbei bis er an Gwendolyns Seite war.

„Ich weiß nicht ob ich das schaffe“, rief Aberthol mit angestrengter Stimme nach ein paar wackeligen Schritten. Er stand mit zitternden Armen da, ein gebrechlicher alter Mann, und konnte sie gerade so festhalten.

„Ihr schafft das“, sagte Alistair und legte ihm stützend den Arm um die Taille.

„Ich bin hier. Habt keine Angst.“

Alistair ging neben ihm her und half ihm die Balance zu halten während sich die kleine Gruppe langsam Schritt für Schritt weiter über die Brücke bewegte.

Gwendolyn staunte wieder einmal über Alistairs Stärke angesichts der Widrigkeiten, ihre ruhige Art, ihre Furchtlosigkeit. Sie strahlte eine Kraft aus, die Gwendolyn nicht verstehen konnte. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie sich ihr so nah fühlte, doch trotz der nur kurzen Zeit, die Gwendolyn sie kannte, war sie schon wie eine Schwester für sie. Ihre Anwesenheit gab ihr Stärke. Genauso wie die von Steffen.

Der Wind beruhigte sich etwas, und sie kamen besser voran. Bald hatten sie die Mitte der Brücke überschritten. Gwen hatte sich etwas an die rutschigen Planken gewöhnt und konnte schneller gehen. Die andere Seite des Canyon kam in Sichtweite, kaum mehr fünfzig Meter entfernt, und sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht würden sie es ja doch schaffen.

Eine erneute Böe zwang Gwendolyn wieder auf die Knie. Sie war stärker als alle anderen zuvor und sie musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht abgeschüttelt zu werden als die Brücke um fast neunzig Grad zur Seite schwankte, und mit derselben Wucht wieder zurück schwang. Sie spürte, wie eine Planke unter ihren Füssen nachgab und schrie erschrocken auf, als ihr Bein bis zum Oberschenkel in die Öffnung rutschte. Sie versuchte herauszukommen doch schaffte es nicht.

Gwendolyn musste mit ansehen, wie Aberthol den Halt verlor und Гјber den Rand der BrГјcke zu rutschen begann. Alistair reagierte schnell und griff mit einer Hand seinen Arm, gerade noch rechtzeitig, bevor er Гјber den Rand rutschte.

Alistair lehnte sich über die Kante und hielt sich fest während Aberthol unter ihr im Wind baumelte. Außer Alistair’s Hand trennte ihn nichts vor dem Sturz ins Bodenlose. Alistair hatte Mühe ihn festzuhalten und Gwendolyn hoffte, dass sie genug Kraft hatte.

Sie fГјhlte sich hilflos wie sie so zwischen den Planken feststeckte. Ihr Herz schlug wild als sie versuchte sich zu befreien.

Die BrГјcke schwankte weiter und Alistair und Aberthol schwankten mit ihr.

„Lass mich los“, schrie Aberthol. „Rette dich selbst!“

Aberthols verlor seinen Stab, der durch scheinbar endlos durch das Schneegestöber in die Tiefen des Canyon fiel.

„Es wird alles gut.“, sagte Alistair ruhig.

Gwen war Гјberrascht, Alistair und dieser Situation so selbstsicher und ruhig zu erleben.

„Schaut mir in die Augen“, befahl sie mit fester Stimme.

„Was?“, schrie Aberthol über den Wind hinweg.

„Schaut mir in die Augen“, wiederholte sie und in ihrer Stimme schwang noch mehr Autorität mit als zuvor.

Er sah ihr in die Augen und Gwendolyn konnte beobachten, wie ein helles Leuchten aus Alistairs Augen trat und auf Aberthol herabschien. Sie sah ungläubig zu, wie das Leuchten Aberthol einhüllte, und als Alistair sich mit einem Ruck zurücklehnte, zog sie Aberthol scheinbar ohne große Mühe zurück auf die Brücke. Aberthol lag schwer atmend und vollkommen außer sich da und sah Alistair schockiert an. Dann fuhr er herum und klammerte sich mit beiden Händen am Brüstungsseil fest bevor der nächste Windstoß kam.

„Mylady“, schrie Steffen.

Er kniete sich neben Gwen, griff sie bei den Schultern und zog mit aller Kraft. Langsam zog er sie zwischen den Planken hervor, doch seine von der Kälte fast gefühllosen Hände verloren den Griff und sie rutsche wieder in die Lücke, diesmal sogar noch tiefer. Plötzlich gab eine zweite Planke unter Gwendolyn nach und sie schrie, als sie spürte, wie sie zu fallen begann.

Gwendolyn streckte ihre Arme aus und bekam mit einer Hand das Seil und mit der anderen Steffens Hand zu fassen. Sie hatte das GefГјhl, dass ihre Schultern aus den Gelenken gerissen wurden als sie Гјber dem Abgrund schaukelte. Auch Steffen schwankte. Er hing weit Гјber den Rand, seine Beine um das Seil geklammert. Er riskierte er sein Leben damit sie nicht abstГјrzte und nur die brГјchigen Seile hinter ihm hielten ihn auf der BrГјcke.

Gwen hörte Krohns knurren und er sprang vor und versenkte seine Zähne in Gwens Mantel und zerrte knurrend und winselnd mit aller Kraft daran.

Langsam, Zentimeter um Zentimeter gelang es Steffen und Krohn, sie hochzuziehen, ist sie schlieГџlich eine der Planken greifen konnte und sich selbst auf die BrГјcke zu rollen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten schwer atmend da.

Krohn leckte ihr immer wieder das Gesicht, und sie war so dankbar fГјr ihre Retter Krohn und Steffen, der nun neben ihr lag. Sie war so froh, am Leben und einem schrecklichen Tod entronnen zu sein.

Doch plötzlich hörte Gwen ein Geräusch, das sich wie ein lauter Peitschenhieb anhörte uns spürt, wie die ganze Brücke erzitterte. Ihr gefror das Blut in den Adern als sie zurückblickte und sah, dass eines der Seile, das die Brücke trug, unter der Last gerissen war.

Die BrГјcke bog und wand sich, und Gwen beobachtete mit Schrecken, wie auch das andere Seil riss.

Sie schrien, als sich die ferne Seite der BrГјcke losriss und mit einer solchen Geschwindigkeit unter ihnen nachgab und mit unglaublichem Schwung auf die Wand des Canyons zuraste, dass Gwen kaum noch Luft bekam. Sie sah wie die Wand auf sie zuraste, und war sich sicher, dass sie in wenigen Augenblicken tot sein wГјrden. ZertrГјmmert vom Aufprall auf die Felsen.

„Fels! Gib nach! ICH BEFEHLE ES DIR!“, hörte sie eine Stimme voller selbstverständlicher, uralter Autorität ungleich allem, was Gwen je gehört hatte. Sie sah Alistair, die das Seil umklammert hielt und mit ausgestreckter Hand furchtlos der Klippe entgegenblickte, in die sie in wenigen Augenblicken einschlagen würden. Ein gelbes Licht trat aus ihrer Hand hervor, und als sie mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Wand zurasten und sich Gwendolyn für den Aufprall wappnete, betrachtete sie schockiert das Schauspiel, das sich vor ihr auftat.

Vor ihren Augen verwandelte sich die Felswand in Schnee und als sie in den Schnee fiel, fühlte sie nicht ihre Knochen brechen wie sie erwartet hatte. Stattdessen fühlte sie, wie ihr ganzer Körper in eine Wand aus leichtem, weichem Schnee eintauchte. Es war eiskalt und bedeckte sie vollständig, lief in ihre Nase und Ohren – doch es tat nicht weh.

Sie lebte.

Sie alle hingen an dem Seil, das von der Kante des Canyon herabhing, eingetaucht in eine Wand aus Schnee und Gwendolyn spürte, wie eine starke Hand die ihre ergriff. Alistair. Ihre Hand war trotz der Eiseskälte warm. Sie hatte auch schon die anderen hochgezogen und bald zog sie auch Krohn mit sich während sie am Seil hinaufkletterte, als wäre es die leichteste Übung.

Endlich erreichten sie die Kante und Gwen lieГџ sich auf den Boden fallen. In dem Moment, in dem der letzte von ihnen festen Boden unter den FГјssen hatte riss das letzte Seil und was von der BrГјcke Гјbrig war fiel durch wabernde Nebelschwaden und tanzende Schneeflocken in die Tiefen des Canyon hinab.

Gwendolyn lag schwer atmend da. Sie war so dankbar wieder festen Boden unter sich zu spГјren und fragte sich, was gerade eben passiert war. Der Boden war eiskalt, bedeckt mit Eis und Schnee, doch es war fester Boden. Sie war nicht mehr auf der BrГјcke, und sie lebte. Sie hatten es geschafft. Dank Alistair.

Gwendolyn drehte sich zu ihr um und sah sie bewundernd an und sie hatte das Gefühl, dass sie, was Alistairs Kräfte anging, noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt hatte. Sie war mehr als dankbar, sie bei sich zu wissen. Alistair war für sie wie die Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte.

Gwen hatte keine Ahnung, wie sie es wieder zurück auf die andere Seite des Canyons schaffen sollten, sobald sie das hier hinter sich gebracht hatte – das hieß, wenn sie es jemals schaffen sollten Argon zu finden und bis hierhin zurückzukommen. Und als sie auf die Wand tanzender Schneeflocken vor sich blickte, dem Eingang ins Reich der Toten, hatte sie das ungute Gefühl, dass die schwersten Hindernisse noch vor ihnen lagen.




KAPITEL ZWEI


Reece stand an der Östlichen Querung des Canyon und hielt sich am steinernen Geländer der Brücke fest. Er blickte schockiert in den Abgrund und konnte kaum atmen. Er konnte immer noch nicht glauben, was er gerade gesehen hatte: Das Schwert des Schicksals, das in einem Felsblock steckte, war über die Kante in den Abgrund gestürzt und vom Nebel verschluckt worden. Er wartete und wartete auf den Einschlag, darauf, eine Erschütterung unter seinen Füssen zu spüren. Doch er hörte nichts. War der Canyon tatsächlich bodenlos? Entsprachen die Gerüchte der Wahrheit?

Schließlich ließ Reece das Geländer los und wandte sich seinen Legionsbrüdern zu. Alle standen da und blickten fassungslos zu ihm hinüber – O’Connor, Elden, Conven, Indra, Serna und Krog waren geschockt. Sie standen wie eingefroren da und konnten nicht fassen, was gerade passiert war. Das Schwert des Schicksals; die Legende mit der sie alle aufgewachsen waren; die wohl bedeutendste Waffe der Welt; Besitz der Könige. Und das einzige, was den Schild aufrechterhalten konnte.

Es war ihnen gerade aus den Händen entglitten und ins Vergessen gestürzt.

Reece hatte das GefГјhl, dass er versagt hatte. Er wusste, dass er damit nicht nur Thor im Stich gelassen hatte, sondern den ganzen Ring.

Warum waren sie nicht eine Minute früher hier angekommen? Nur ein paar Meter weiter und sie hätten es retten können.

Reece wandte seinen Blick der fernen Seite des Canyon zu, der Seite des Empire und sammelte seine Kräfte. Ohne das Schwert würde der Schild fallen und die Krieger, die auf der anderen Seite warteten würden wie eine wild gewordene Herde über die Brücke in den Ring einfallen. Doch seltsamer Weise passierte nichts. Niemand betrat die Brücke. Einer von ihnen versuchte es und zerfiel vor seinen Augen zu Asche.

Der Schild war nicht zusammengebrochen. Reece konnte es nicht verstehen.

„Es macht keinen Sinn!“, sagte Reece zu den anderen. „Das Schwert hat den Ring verlassen. Wie kann der Schild noch immer funktionieren?“

„Dann hat das Schwert den Ring nicht verlassen“, schlug O’Connor vor. „Es ist nicht auf der anderen Seite. Es ist einfach heruntergefallen und liegt zwischen den beiden Welten.“

„Was wird dann aus dem Schild, wenn das Schwert weder hier noch dort ist?“, fragte Elden.

Sie sahen sich staunend an. Niemand kannte die Antwort. Das war unerforschtes Gebiet.“

„Wir können nicht einfach von hier fort gehen“, sagte Reece. „Der Ring ist sicher mit dem Schwert auf unserer Seite – doch wir wissen nicht, was geschehen wird, nun da das Schwert dort unten liegt.“

„So lange es nicht in unseren Händen ist, können wir nicht sicher sein, ob es nicht vielleicht doch auf die andere Seite gelangt.“, sagte Elden.

„Das ist kein Risiko, das ich eingehen möchte.“, sagte Reece. „Das Schicksal des Rings hängt davon ab. Wir können nicht mit leeren Händen zurückkehren.“

Reece wandte sich den anderen zu und blickte sie entschlossen an.

„Wir müssen es zurückholen.“, sagte er. „Bevor es jemand anderes tut.“

„Zurückholen?“ fragte Krog fassungslos. „Bist du ein Narr? Wie genau stellst du dir das vor?“

Reece wandte sich um und starrte Krog an, der genauso trotzig wie immer zurückstarrte. Krog hatte sich für Reece zu einem Dorn im Auge entwickelt, widersetzte sich seinem Befehl bei jeder Gelegenheit und forderte andauernd seine Autorität heraus. Reece verlor langsam die Geduld.

„Indem wir zum Grund des Canyon hinabsteigen.“, erklärte Reece ungeduldig.

Die anderen keuchten während Krog seine Hände in die Hüften stemmte und eine Grimasse schnitt.

„Du bist vollkommen verrückt.“, sagte er. „Niemand ist jemals zum Grund des Canyon hinabgestiegen.“

„Niemand weiß, ob es überhaupt einen Boden gibt.“, stimmte Serna mit ein. „Alles was wir wissen ist, dass das Schwert in eine Wolke gefallen ist und in diesem Augenblick wahrscheinlich immer noch ins Bodenlose fällt.“

„Unsinn.“, gab Reece zurück. „Alles hat einen Boden. Selbst das Meer.“

„Nun, selbst wenn dieser Boden existieren sollte“, konterte Krog. „was haben wir davon wenn er so weit unten ist, dass wir ihn weder sehen noch hören können. Es könnte Tage dauern bis wir unten ankommen – oder Wochen!“

„Ganz davon zu schweigen, dass es wohl kaum eine gemütliche Wanderung sein wird.“, sagte Serna. „Hast du die Klippen nicht gesehen?“

Reece wandte sich um und betrachtete die Felswand, die uralten Felsen, die die Wand des Canyon bildeten und teilweise von wabernden Nebelschwaden verdeckt wurden. Sie waren gerade. Vertikal. Er wusste, dass sie Recht hatten; es wГјrde alles andere als leicht werden. Doch er wusste auch, dass sie keine andere Wahl hatten.

„Es wird noch besser“, sagte Reece. „Diese Wände sind feucht vom Nebel. Selbst wenn wir den Grund erreichen sollten, schaffen wir es vielleicht nie wieder nach oben.“

Sie sahen ihn verdutzt an.

„Dann gibst du selbst zu, dass es Wahnsinn ist, es zu versuchen.“, sagte Krog.

„Ich stimme zu, dass es Wahnsinn ist.“, sagte Reece. Seine Stimme polterte voll Autorität und Selbstvertrauen. „Doch das ist der Wahnsinn, für den wir geboren wurden. Wir sind nicht nur einfache Männer. Wir sind eine besondere Brut: Wir sind Krieger! Wir sind Männer der Legion. Wir haben einen Eid geschworen. Wir haben geschworen, dass wir nie vor einer Mission zurückschrecken werden weil sie zu schwierig oder zu gefährlich ist, niemals zu zögern auch wenn ein Vorhaben unser Leib und Leben in Gefahr bringt. Es bleibt den Schwachen überlassen sich zu verkriechen, doch nicht uns. Das ist es, was uns zu Kriegern macht. Das ist wahrer Heldenmut: Auf eine Mission aufzubrechen, die weitaus grösser ist als wir selbst, weil es richtig ist, es zu tun. Der ehrenhafte Weg, selbst wenn er auf den ersten Blick unmöglich erscheint. Letzten Endes beweist nicht unbedingt das, was wir erreichen, unseren Heldenmut, sondern der Versuch es zu tun. Es ist grösser als wir selbst. Das ist es, was uns ausmacht.“

Schwere Stille legte sich über die Gruppe. Der Wind fegte über sie hinweg während sie über seine Worte nachdachten.

SchlieГџlich trat Indra vor.

„Ich bin dabei.“, sagte sie.

„Ich auch“, stimmte Elden zu.

„Genauso wie ich“, sagte O’Connor und stellte sich neben Reece.

Conven trat stumm neben Reece, hielt seinen Schwertknauf fest umschlungen, und wandte sich den anderen zu. „Für Thorgrin“, sagte er, „würde ich bis ans Ende der Welt gegen.“

Reece fühlte sich ermutigt, nun, da er seine treuen Waffenbrüder an seiner Seite hatte – die Menschen, die ihm so nah standen wie eine Familie, mit denen er in die Tiefen des Empire vorgedrungen war. Die Fünf standen da und sahen die beiden neuen Legionsangehörigen Krog und Serna an. Reece fragte sich, ob sie mit ihnen kommen würden. Sie konnten ein paar extra Hände gut gebrauchen, doch wenn sie umkehren wollten, dann sollte es eben so sein. Er würde nicht zweimal fragen.

Krog und Serna standen da und starrten unsicher zurГјck.

„Ich bin eine Frau“, sagte Indra zu ihnen. „Ihr habt vorhin deswegen über mich gespottet. Und jetzt stehe ich hier, bereit für eine Herausforderung die eines Kriegers würdig ist – während ihr, mit all euren Muskeln nach Ausflüchten sucht und euch fürchtet!“

Serna grunzte erbost und strich sich sein langes braunes Haar aus dem Gesicht. Er trat vor.

„Ich komme mit.“, sagte er. „Doch nur wegen Thorgrin.“

Krog war der einzige, der mit rotem Gesicht wie angewurzelt stehen blieb.

„Ihr seid verdammte Narren“, sagte er trotzig. „Jeder einzelne von Euch.“

Doch dann trat auch er vor und war bereit, mit ihnen zu gehen.

Reece war zufrieden. Er wandte sich um und ging auf den Rand des Canyons zu. Sie hatten keine Zeit zu verschwenden.


*

Reece hangelte sich an der Felswand hinunter. Die anderen waren ein paar Meter über ihm und folgten ihm auf dem unbequemen Abstieg, der nun schon Stunden andauerte. Reeces Herz klopfte und er musste sich sehr anstrengen, nicht den Halt zu verlieren. Seine Finger waren wund und taub von der Kälte und seine Füße rutschten immer wieder vom glatten Felsen ab. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde. Er hatte nach unten gesehen und das Gelände betrachtet, die Struktur des Felsens, und hatte bemerkt, dass der Fels an manchen Stellen senkrecht abfiel und eine perfekt glatte Oberfläche hatte, an der man unmöglich hinunterklettern konnte; an anderen Stellen war der Fels mit einer dichten Moosschicht bewachsen; und an wieder anderen Stellen hatte er eine grob gezackte Oberfläche mit steilem Gefälle, Spalten und Löchern, in denen man sich festhalten konnte. Er hatte sogar den einen oder anderen Vorsprung gesehen, auf dem man sich ausruhen konnte.

Doch das Klettern an sich war viel anstrengender als es zunächst schien. Der Nebel erschwerte ihm dauernd die Sicht und als Reece nach unten sah, wurde es immer schwerer Stellen zu finden, auf die er seine Füße setzen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass selbst nach all dieser Zeit des Kletterns der Grund des Canyons, sofern es ihn überhaupt gab, noch immer nicht zu sehen war.

Reece bekam es mit der Angst zu tun. Sein Mund war trocken. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht einen groГџen Fehler gemacht hatte.

Doch er wagte sich nicht, seine Angst den anderen zu zeigen. Ohne Thor war er jetzt ihr Anführer, und er musste stark sein und sich konzentrieren; er wusste, dass Angst seine Fähigkeiten nur einschränken würde.

Reeces Hände zitterten während er versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. Er entschied sich zu vergessen, was weiter unten war und sich nur auf die nächsten Schritte zu konzentrieren.

Einen Schritt nach dem anderen, sagte er zu sich. Und er fГјhlte sich besser.

Reece fand den nächsten Tritt und den nächsten und spürte, wie er wieder in den Rhythmus kam.

„ACHTUNG!“, schrie jemand über ihm.

Reece wappnete sich als plötzlich Kiesel überall um ihn herum herunterregneten und ihn an Kopf und Schultern trafen. Er sah nach oben, sah im letzten Moment einen großen Brocken auf sich zurasen und konnte sich gerade noch ducken.

„Tut mir leid!“, rief O’Connor ihm zu. „Der war wohl locker.“

Reeces Herz schlug ihm bis zum Hals als er nach unten sah und versuchte ruhig zu bleiben. Er hätte nur zu gern gewusst, wo der Grund war; er griff nach einem kleinen Stein und warf ihn.

Er sah ihm nach und lauschte.

Doch er hörte nichts.

Seine ungute Vorahnung wurde dadurch nicht besser. Er hatte immer noch nicht die geringste Vorstellung davon, wie tief der Canyon war. Seine Muskeln zitterten jetzt schon vor Anstrengung, und er war sich nicht sicher, ob sie es schaffen wГјrden. Reece schluckte schwer und die Gedanken kreisten in seinem Kopf als er weiter Schritt fГјr Schritt abstieg. Was, wenn Krog Recht gehabt hatte? Was, wenn der Canyon wirklich bodenlos war? Was, wenn er seine Freunde in leichtsinnig dem Tod entgegen fГјhrte?

Als Reece einen weiteren Schritt machte, mit dem er wieder Schwung gewann, hörte er plötzlich das Geräusch eines Körpers, der über den Fels rutschte, und einen Schrei. Auf einmal sah er Elden, der abgerutscht war und an ihm vorbeirutschte.

Instinktiv streckte Reece die Hand aus und schaffte es, Elden am Arm zu packen. Zum Glück hatte er mit der anderen Hand einen festen Halt und konnte Elden abfangen. Doch dieser hing an Reeces Arm und konnte keinen Halt finden. Elden war zu groß und zu schwer, und Reeces Kräfte ließen schnell nach.

Indra kam schnell zu ihnen herunter und griff nach Eldens anderer Hand. Doch so sehr er sich auch bemГјhte, er konnte keinen Halt fГјr seine FГјГџe finden.

„Ich kann keinen Halt finden!“, schrie er mit Panik in der Stimme. Er trat verzweifelt um sich und Reece befürchtete, das er selbst den Halt verlieren würde und sie beide gemeinsam in die Tiefe stürzen würden. Seine Gedanken rasten.

Reece erinnerte sich an ein Seil und einen Enterhaken, den O’Connor ihm vor ihrem Abstieg gezeigt hatte. Damit konnte man im Falle einer Belagerung gut an einer Mauer hochklettern. Für den Fall, dass wir es gebrauchen können, hatte O’Connor gesagt.

„O’Connor! Dein Seil!“ rief Reece ihm zu. „Wirf es runter!“

Reece sah nach oben und beobachtete, wie O’Connor sein Seil von seinem Gürtel losmachte und den Haken in einer Spalte verkantete. Er drückte ihn mit aller Kraft hinein, zog ein paarmal daran und warf dann das Seil hinunter. Es baumelte neben Reece.

Es hätte nicht einen Augenblick später kommen dürfen, denn Eldens Hand begann Reece zu entgleiten und im letzten Moment griff er das Seil. Reece hielt den Atem an und betete, dass es halten würde.

Es hielt. Elden zog sich langsam hoch, bis er einen festen Halt gefunden hatte. Er stand auf einem kleinen Vorsprung und atmete schwer. Er seufzte vor Erleichterung. Das war verdammt eng gewesen!


*

Sie kletterten weiter und Reece wusste schon nicht mehr, wieviel Zeit vergangen war. Es wurde langsam dunkel, und Reece war trotz der Kälte schweißnass. Er hatte das Gefühl, dass jeder Augenblick sein letzter sein konnte. Seine Muskeln zitterten und sein Atem ging schnell und ungleichmäßig.

Er fragte sich, wie lange er wohl noch durchhalten konnte. Er wusste dass sie irgendwo anhalten mussten um sich auszuruhen, falls sie nicht bald den Boden erreichen wГјrden. Doch das Problem war: es gab keinen Ort, an dem sie anhalten konnten, um sich auszuruhen.

Reece fragte sich ob sie irgendwann – einer nach dem anderen – vor Erschöpfung einfach abstürzen würden.

Plötzlich hörte er lautes Poltern und eine kleine Gerölllawine regnete auf ihn nieder. Sein Herz setzte einen Augenblick lang aus als er einen Schrei hörte. Er war anders als der von Elden zuvor – es war ein Todesschrei. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie ein Körper an ihm vorbei viel.

Reece streckte seinen Arm aus um ihn zu greifen, doch es geschah viel zu schnell. Alles was er tun konnte, war hilflos zuzusehen wie Krog schreiend mit Armen und Beinen um sich schlug und auf das Nichts zuraste.




KAPITEL DREI


Kendrick saß auf seinem Pferd. Neben ihm standen Erec, Bronson und Srog vor tausenden ihrer Männer und standen Tirus und dem Empire gegenüber. Sie waren geradewegs in eine Falle geritten. Sie waren von Tirus verkauft worden, und Kendrick erkannte viel zu spät, dass es ein Fehler gewesen war, ihm zu vertrauen.

Kendrick blickte auf und sah gut zehntausend Krieger des Empire am oberen Rand des Tals mit dem Bogen im Anschlag stehen; auf seiner linken Flanke noch einmal genauso viele, und vor ihnen noch viel mehr.

Durch die gigantische Überzahl würde es Kendricks Männern nie gelingen die Gegner zu besiegen. Sie würden schon beim Versuch abgeschlachtet werden. Mit all den Bögen im Anschlag würde die leiseste Bewegung zu einem Massaker an seinen Männern führen. Geographisch gesehen half es ihnen auch nicht weiter, dass sie sich am Boden des Tals befanden. Tirus hatte den Ort für seinen Hinterhalt gut gewählt.

Während Kendrick mit vor Wut brennendem Gesicht dasaß, starrte er Tirus an, der seinerseits mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf dem Gesicht auf dem Pferd saß und ihn ansah. Neben ihm saßen seine vier Söhne und der Kommandant der Empirekrieger.

„Ist dir Gold so wichtig?“, wollte Kendrick von Tirus wissen, der kaum drei Meter entfernt war, und seine Stimme klang kalt wie Stahl. „So wichtig, dass du dafür dein eigenes Volk, dein eigenes Blut verkaufst?“

Tirus zeigte keinerlei Bedauern; sein Lächeln wurde breiter.

„Dein Volk ist nicht mein Blut, erinnerst du dich nicht?“ sagte er. „Das ist der Grund warum ich nach Eurem Gesetz kein Recht auf den Thron meines Bruders habe.“

Erec räusperte sich wütend.“

„Nach den Gesetzen der MacGils wird der Thron an den Sohn vererbt – nicht an den Bruder.“

Tirus schГјttelte den Kopf.

„Das ist jetzt alles vollkommen belanglos. Eure Gesetze interessieren mich nicht mehr. Macht triumphiert immer über das Gesetz. Diejenigen, welche die Macht innehaben, diktieren das Gesetz. Und wie du sehen kannst, bin ich stärker. Das bedeutet, dass ich von nun an das Gesetz schreibe. Die nachfolgenden Generationen werden sich an keines eurer Gesetze erinnern. Alles an was sie sich erinnern werden ist, dass ich, Tirus, der König war, nicht du oder deine Schwester!“

„Ein Thron, der unrechtmäßig genommen wurde ist nie von Dauer.“, gab Kendrick zurück.  Vielleicht wirst du uns töten; Vielleicht kannst du Andronicus sogar irgendwie davon überzeugen, dir einen Thron zu geben. Doch du und ich, wir beide wissen, dass du nicht lange herrschen wirst. Du wirst genauso betrogen werden, wie du uns betrogen hast.“

Tirus saГџ unbeeindruckt da.

„Dann werde ich die Tage meiner kurzen Herrschaft genießen bis sie vorüber sind – und ich werde dem Mann Beifall spenden, der mich mit soviel List hinters Licht führt, wie ich es mit euch getan habe.“

„Genug geredet!“, rief der Kommandant der Empirekrieger, „Kapituliert, oder Eure Männer werden sterben!“

Kendrick sah ihn wГјtend an. Er wusste dass er keine andere Wahl hatte, so wenig es ihm der Gedanke auch gefallen mochte.

„Legt eure Waffen nieder“, sagte Tirus mit ruhiger Stimme, „und ich werde euch gerecht behandeln, wie ein Krieger den anderen. Ihr werdet Kriegsgefangene sein. Ich mag eure Gesetze nicht teilen, doch ich respektiere die Gesetze des Krieges. Ich verspreche euch, dass unter meiner Aufsicht niemandem auch nur ein Haar gekrümmt wird.“

Kendrick, Bronson, Srog und Erec sahen sich an. Sie waren alle stolze Krieger und saßen stumm auf ihren Pferden, die nervös mit den Hufen scharrten.

„Warum sollte ich dir vertrauen?“, rief Bronson Tirus zu. „Du hast schon einmal bewiesen, dass dein Wort nichts wert ist. Ich bin gerne bereit hier auf dem Schlachtfeld sterben, wenn ich dir damit nur dein selbstgefälliges Grinsen austreiben könnte.“

Tirus sah Bronson böse an.

„Was sprichst du überhaupt? Du bist nicht einmal ein MacGil. Du bist ein McCloud. Du hast kein Recht, dich in unsere Dinge einzumischen.“

„Bronson ist ein MacGil wie jeder andere von uns. Er spricht mit der Stimme unserer Männer.“, entgegnete Kendrick.

Tirus knirschte entnervt mit den Zähnen.

„Es ist eure Wahl. Seht euch um und betrachtet die Bogenschützen, die nur auf meinen Befehl warten. Wenn einer von euch auch nur daran denkt, nach seinem Schwert zu greifen, werdet ihr alle sofort sterben. Das könnt ihr sicher sehen. Es gibt Zeiten, in denen man kämpft, und Zeiten, in denen man besser kapituliert. Wenn du, Kendrick, deine Männer retten willst, dann solltest du tun, was jeder gute Kommandant tun würde. Leg die Waffen nieder!“

Kendrick verkrampfte. Die Wut verbrannte ihn innerlich. So wenig er es auch zugeben wollte wusste er doch, dass Tirus Recht hatte. Er sah sich um und wusste sofort, dass wahrscheinlich alle seine Männer binnen weniger Augenblicke sterben müssten, wenn er versuchen sollte zu kämpfen. So sehr er es auch tun wollte, es wäre eine egoistische Wahl; wie sehr er Tirus auch verachtete, hatte er das Gefühl, dass er die Wahrheit sprach, und seinen Männern nichts geschehen würde. Solange sie lebten, konnten sie immer noch bei der nächsten Gelegenheit kämpfen, an einem anderen Ort, auf einem anderen Schlachtfeld.

Kendrick sah Erec an, einen Mann, mit dem er unzählige Male gekämpft hatte, der Held der Silver, und er wusste, dass er das gleiche dachte. Ein Anführer zu sein war etwas anderes, als ein einfacher Krieger zu sein: Ein Krieger konnte ohne Rücksicht kämpfen, doch ein Anführer musste in erster Linie an seine Männer denken.

“Es gibt eine Zeit für den Kampf, und eine Zeit zu kapitulieren.“, rief Erec. „Wir werden dich bei deinem Wort als Krieger nehmen, dass unseren Männern kein Haar gekrümmt wird wenn wir unsere Waffen niederlegen.

Brichst du jedoch dein Wort, dann möge Gott deiner Seele gnädig sein. Dann werde ich aus der Hölle zurückkommen und jeden einzelnen meiner Männer rächen.“

Tirus nickte zufrieden und Erec lieГџ sein Schwert samt Scheide unter lautem Scheppern zu Boden fallen.

Kendrick folgte seinem Beispiel und nach kurzem Zögern taten es ihnen auch Sorg und Bronson widerwillig nach.

Hinter ihnen ertönte das Geschepper von tausenden von Waffen, die auf den gefrorenen Boden fielen. Silesier, MacGils, McClouds und Silver – alle kapitulierten sie.

Tirus grinste breit.

„Und jetzt steigt ab.“, befahl er.

Langsam schwangen sie sich aus den Sätteln und stellten sich neben ihre Pferde.

Tirus schwelgte in seinem Sieg.

„All die Jahre, die ich im Exil auf den Oberen Inseln verbracht habe, habe ich King’s Court und meinen Bruder um seine Macht beneidet. Doch welcher MacGil hat nun die Macht?“

„Macht, die aus Verrat entsteht ist keine Macht!“, sagte Bronson trotzig.

Tirus warf einen bösen Blick in seine Richtung und nickte seinen Männern zu.

Sie eilten vor und begannen, einem nach dem anderen die Hände zu fesseln. Einer nach dem anderen wurden sie davongezerrt.

Als Kendrick weggeschleift wurde, fiel ihm plötzlich sein Bruder Godfrey ein. Sie waren gemeinsam aufgebrochen, doch er hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen. Er fragte sich, ob es ihm irgendwie gelungen war zu fliehen? Er betete, dass ihn ein besseres Schicksal ereilen möge als ihn selbst. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich optimistisch.

Bei Godfrey konnte man sich nie ganz sicher sein.




KAPITEL VIER


Godfrey Seite an Seite mit Akorth, Fulton, seinem Silesischen General und dem Empire Kommandeur seinen Männern voraus. Er hatte gut für die Treue der Männer des Empire gezahlt. Godfrey ritt mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und war mehr als zufrieden wenn er den Blick über die mehrere Tausend Mann starke Division von Empirekriegern schweifen ließ, die nun auf seiner Seite standen.

Er dachte zutiefst zufrieden über die Bezahlung nach, die er ihnen gegeben hatte, die zahllosen Säcke mit Gold, erinnerte sich an den Ausdruck auf ihren Gesichtern, und war freudig erregt, dass sein Plan aufgegangen war. Er war sich bis zum letzten Moment nicht sicher gewesen, und zum ersten Mal konnte er erleichtert aufatmen. Es gab schließlich viele Wege eine Schlacht zu gewinnen, und er hatte seine gerade gewonnen ohne auch nur einen Tropfen Blut zu vergießen. Vielleicht war er nicht so ritterlich oder tapfer wie die anderen Krieger, doch er war erfolgreich. Und war das nicht letzten Endes das Ziel? Er bevorzugte es, die Leben seiner Männer mit ein wenig Bestechung zu schonen, anstatt mitansehen zu müssen, wie die Hälfte von ihnen in einem leichtsinnigen „ritterlichen“ Akt getötet wurden. So war er eben.

Godfrey hatte zu hart gearbeitet, um das zu erreichen, was er hatte. Er hatte alle seine Beziehungen auf dem schwarzen Markt, Verbindungen durch Bordelle, finstere Gassen und Spelunken um herauszufinden, wer mit wem „gut Freund“ war, welche Bordelle die Kommandanten des Empire besuchten und welcher von ihnen bestechlich war.

Godfreys halbseidene Kontakte waren weitreichender als es vielleicht sein sollte – er hatte schließlich sein ganzes Leben damit verbracht sie zu sammeln – doch nun hatten sie ihm gute Dienste erwiesen. Und endlich konnte er das Gold seines Vaters einmal sinnvoll einsetzen.

Sicher, Godfrey hatte sich bis zum letzten Moment nicht sicher sein können, ob sie verlässlich waren. Niemand würde jemanden so leichtherzig hintergehen wie ein Dieb, doch er hatte das Risiko eingehen müssen. Er wusste dass die Chancen 50:50 standen, dass die Leute die er bezahlte nur so zuverlässig waren wie das Gold das er ihnen zahlte. Doch er hatte sie mit sehr sehr feinem Gold bezahlt, und sie hatten sich ihm wortgetreu angeschlossen.

Natürlich wusste er nicht, ob sie ihm auch treu bleiben würden. Doch zumindest hatte er sich seinen Weg aus einer Schlacht heraus manövriert, und für den Moment standen sie auf seiner Seite.

„Ich habe mich in Euch getäuscht.“, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

Godfrey blickte sich um und sah, wie der Silesische General neben ihm ritt und ihn bewundernd ansah.

„Ich muss zugeben, dass ich an Euch gezweifelt habe, Mylord“, fuhr er fort. „Ich muss mich dafür entschuldigen. Mir wäre nie im Traum eingefallen, welchen Plan Ihr Euch zurechtgelegt hattet. Einfach genial. Ich werde nie wieder an Euch zweifeln.“

Godfrey lächelte ihn an und fühlte sich bestätigt. All diese Generäle, diese Krieger, hatten sein ganzes Leben lang Zweifel an ihm gehabt. Am Hof seines Vaters, ein Hof von Kriegern, hatte man mit Verachtung auf ihn herabgesehen. Doch nun mussten sie endlich zugeben, dass er auf seine eigene Art und Weise genauso fähig war wie sie.

„Keine Sorge“, sagte Godfrey. „Ich stelle mich immer wieder selbst in Frage, denn ich lerne mit jedem Schritt. Ich bin kein Kommandant, und ich habe auch keinen anderen Plan, als zu überleben, wie auch immer das möglich sein sollte.“

„Wohin jetzt?“, fragte der General.

„Wir werden uns Kendrick, Erec und den anderen anschließen.“

Sie ritten, tausenden von ihnen, eine seltsame und unbehagliche Allianz zwischen den Männern des Empire und denen des Rings. Sie ritten über die Hügel, entlang staubiger Ebenen, auf das Tal zu, in dem sie Kendrick treffen sollten.

Während sie ritten, schossen Godfrey unzählige Gedanken durch den Kopf. Wie es Kendrick und Erec bisher ergangen war; wie sehr sie in der Unterzahl waren; und wie es ihm in der nächsten Schlacht ergehen würde, einer echten Schlacht. Diese würde er nicht vermeiden können. Er hatte keine Asse mehr im Ärmel und kein Gold mehr in seinen Satteltaschen.

Er schluckte nervös. Er hatte das Gefühl, dass er bei weitem nicht soviel Mut besaß wie die anderen, die damit geboren zu sein schienen. Jeder andere kam ihm so furchtlos in der Schlacht vor – und selbst im normalen Leben. Doch Godfrey musste zugeben, dass er Angst hatte. Doch wenn es darauf ankam, mitten in der Schlacht, wusste er, dass er sich nicht vor der Verantwortung drücken konnte. Doch er war ungeschickt und schwerfällig; er hatte nicht die Fähigkeiten, die die anderen besaßen, und er wusste nicht wie oft er schlichtweg durch die Götter des Glücks gerettet worden war.

Die anderen schienen es egal zu sein, ob sie nun lebten oder starben – sie schienen alle bereit, ihre Leben für den Ruhm zu geben. Godfrey schätze den Ruhm. Doch er liebte das Leben mehr. Er liebte sein Bier und gutes Essen. Und selbst in diesem Augenblick knurrte sein Magen und er fühlte den Drang sich irgendwo in der Sicherheit einer Taverne zu verkriechen. Das Leben eines Kriegers war einfach nichts für ihn.

Doch Godfrey dachte an Thor, der irgendwo da draußen gefangen war; er dachte an alle seine Freunde, die für die Freiheit kämpften, und er wusste, dass seine Ehre, so befleckt sie auch sein mochte, ihm gebot hier zu sein.

Sie ritten immer weiter und schlieГџlich kamen sie auf einen HГјgel und hatten von dort einen groГџartigen Гњberblick Гјber das Tal, das sich unter ihnen ausbreitete. Sie blieben stehen und Godfrey blinzelte in die gleiГџend helle Sonne, und versuchte zu verstehen, was er sah. Er hob eine Hand Гјber die Augen und war verwirrt.

Dann wurde es ihm, sehr zu seinem Schrecken, klar. Sein Herz setzte einen Augenblick lang aus: tausende von Männern des Rings wurden dort unten in Fesseln davongezerrt – Kendricks Männer waren Gefangene. Das waren seine Männer. Sie waren vollständig eingekesselt von gut zehnmal so vielen Empirekriegern. Sie waren zu Fuß, mit gefesselten Händen, und wurden abgeführt. Godfrey wusste, dass Kendrick und Erec niemals kapitulieren würden, es sei denn sie hatten einen guten Grund dafür. Es sah aus, als wären sie in eine Falle gelaufen.

Godfrey wurde von Panik erfasst. Er fragte sich wie das passieren konnte. Er hatte erwartet, sie in einer hitzigen aber halbwegs ausgeglichenen Schlacht anzutreffen und sich ihnen mit frischen Männern anzuschließen. Doch stattdessen verschwanden sie in Richtung des Horizonts und waren schon fast einen halben Tagesritt entfernt.

Der Kommandant von Godfreys Empirekriegern ritt neben ihn und sah ihn spöttisch an.

„Scheint als ob deine Männer verloren haben“, sagte er. „Das war nicht Teil unseres Handels.“

Godfrey sah ihn an und bemerkte wie besorgt der Kommandant zu sein schien.

„Ich habe dich gut bezahlt“, sagte Godfrey. Er war nervös und fürchtete, dass sein Handel dabei war, sich in Rauch aufzulösen, doch er versuchte so selbstbewusst wie möglich zu klingen und sich nichts anmerken zu lassen. „Und du hast geschworen, dich mir anzuschließen.“

Doch der Kommandant schГјttelte den Kopf.

„Ich habe dir versprochen, mit dir in die Schlacht zu ziehen – nicht in eine Selbstmordmission. Meine paar Tausend Männer werden nicht gegen ein ganzes Bataillon von Andronicus� Männern ziehen. Die Rahmenbedingungen für unseren Handel haben sich geändert. Du kannst sie alleine bekämpfen – und ich behalte das Gold.“

Er wandte sich um, schrie, gab seinem Pferd die Sporen und ritt in die andere Richtung davon. Seine Männer folgten seinem Beispiel. Bald verschwanden sie auf der anderen Seite des Tals.

„Er hat unser Gold!“, rief Akorth. „Sollen wir ihn verfolgen?“

Godfrey schГјttelte den Kopf und sah zu, wie er davonritt.

„Und was soll uns das bringen? Gold ist Gold. Ich werde nicht ein Leben dafür aufs Spiel setzen. Lass ihn gehen. Wo dieses Gold herkam, ist noch viel mehr.“

Godfrey wandte sich ab und sah wieder zum Horizont und der Gruppe von Kendricks und Erecs Männern hinterher, die langsam dort verschwanden. Nun war seine Verstärkung fort, und er war sogar noch isolierter als zuvor. Seine Pläne brachen wie ein Kartenhaus um ihn herum zusammen.

„Und was nun?“, fragte Fulton.

Godfrey zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung“, sagte er.

„So etwas solltest du nicht sagen“, sagte Fulton. „Du bist jetzt schließlich ein Anführer.“

Doch Godfrey zuckte wieder mit den Schultern. „Ich sage nur die Wahrheit.“

„Das Kriegshandwerk ist wirklich hart.“, sagte Akorth, kratzte seinen Bauch und nahm seinen Helm ab. „Es scheint sich nicht so zu entwickeln, wie du es erwartet hast, nicht wahr?“

Godfrey saГџ auf seinem Pferd und schГјttelte den Kopf. Er Гјberlegte, was er tun konnte. Das Schicksal hatte ihm Karten ausgeteilt, mit denen er nicht gerechnet hatte, und er hatte keinen Plan B.

„Sollen wir umkehren?“, fragte Fulton.

„Nein“, hörte Godfrey sich selbst sagen und war überrascht.

Die anderen sahen ihn schockiert an und kamen näher um ihm zuzuhören.

„Ich bin vielleicht kein großer Krieger.“, sagte Godfrey. „Doch das da draußen sind meine Brüder. Sie werden verschleppt. Wir können nicht umkehren. Selbst wenn es unseren Tod bedeuten sollte.“

„Seid Ihr wahnsinnig geworden?“, fragte der Silesische General. „Diese Krieger, Silver, MacGils, Silesier sind alle feine Krieger – jeder von ihnen, und selbst alle zusammen könnten niemals gegen die Männer des Empire dort unten bestehen. Wie stellt Ihr Euch vor, dass unsere paar Tausend Mann unter Eurem Kommando das anstellen sollen?“

„Ich habe nie gesagt, dass wir gewinnen würden.“, gab er zurück. „Ich sage nur, dass es das Richtige ist. Ich will sie nicht aufgeben. Wenn du nun umkehren und nach Hause reiten willst, bitte. Doch ich werde sie angreifen.“

„Ihr seid ein unerfahrener Anführer“, sagte er mit grimmigem Blick. „Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht Mylord. Ihr werdet diese Männer in den sicheren Tod führen.“

„Das bin ich“, sagte er. „Das ist wahr. Doch du hast versprochen, nie wieder an mir zu zweifeln. Und ich werde nicht umkehren.“

Godfrey ritt ein paar Meter eine Anhöhe hinauf, damit ihn alle Männer sehen konnten.

„Männer!“, rief er mit polternder Stimme. „Ich weiß, dass ihr mich nicht als einen erfahrenen Anführer wie Kendrick, Erec oder Srog betrachtet. Und es ist wahr. Ich habe nicht ihre Fähigkeiten. Doch ich habe Herz. So wie ihr. Was ich weiß ist, dass das da draußen unsere Brüder sind, die gefangen genommen wurden. Und ich selbst wäre lieber tot als zu leben und mitansehen zu müssen, wie sie vor meinen Augen verschleppt werden und in als geprügelter Hund in unsere Städte zurückzukehren und abzuwarten, bis das Empire kommt, um ums abzuschlachten. Ihr könnt euch sicher sein: Sie werden uns eines Tages töten. Wir können jetzt stehenden Fußes dort hinunter gehen, kämpfen und den Feind als freie Männer verfolgen. Oder wir können in Schande ehrlos untergehen. Die Wahl liegt bei Euch. Reitet mit mir. Vielleicht werdet ihr leben, vielleicht werdet ihr sterben. Doch ihr werdet in Ehre reiten!“

Die Männer jubelten ihm zustimmend entgegen. So enthusiastisch, dass es Godfrey überraschte. Sie hoben ihre Schwerter hoch in die Luft, und ihr Einverständnis machte ihm Mut.

Es lieГџ Godfrey auch erkennen was das, was er tat, wirklich bedeutete. Er hatte nicht wirklich Гјber seine Worte nachgedacht, bevor er sie aussprach. Der Гњberschwang des Augenblicks hatte ihn einfach mitgerissen. Nun erkannte er, dass er auch entsprechend handeln musste, und er war ein wenig erschrocken Гјber das, was er zuvor gesagt hatte. Sein eigener Mut machte ihm Angst.

Als die Männer auf ihren Pferden ihre Waffen bereit machten, um sich auf den letzten Angriff vorzubereiten, kamen Akorth und Fulton zu ihm.

„Getränk gefällig?“, fragte Akorth.

Godfrey sah, wie Akorth nach einem Weinschlauch griff und riss ihn ihm aus der Hand; er warf den Kopf in den Nacken und trank und trank, bis er fast den ganzen Weinschlauch geleert hatte. SchlieГџlich wischte sich Godfrey den Mund ab und gab den Schlauch zurГјck.

Was habe ich getan? Fragte er sich. Er war im Begriff seine Männer in eine Schlacht zu führen, die er nicht gewinnen konnte. War er noch ganz bei Trost?

„Ich dachte nicht, dass du das Zeug dazu hast.“, sagte Akorth, klopfte ihm grob auf den Rücken. Godfrey rülpste.

„Was für eine Ansprache, besser als Theater!“, sagte Fulton. „Wir hätten Eintritt verlangen sollen.“

„Irgendwie liegst du nicht ganz falsch…“, sagte Akorth, „Besser kämpfend untergehend als feige auf den Tod zu warten.“

„Wobei man das natürlich auch in Bett in einem Freudenhaus tun kann“, fügte er hinzu.

„Hört hört!“, sagte Fulton. „Oder wie wäre es mit einem Krug Bier in der Hand!“

„Das wäre fein.“, sagte Akorth und nahm einen Schluck.

„Doch nach einer Weile würde es sicher langweilig werden“, sagte Fulton. „Wie viele Krüge Bier kann ein Mann schon trinken, und mit wie vielen Frauen schlafen?“

„Nun, eine ganze Menge, wenn ich es recht bedenke.“, sagte Akorth.

„Wobei es auch Spaß machen könnte, auf andere Art und Weise zu sterben. Nicht so langweilig.“

Akorth seufzte.

„Also wenn wir das hier irgendwie überleben sollten, würde es uns einen Grund geben, uns so richtig zu betrinken. Diese eine Mal hätten wir es wirklich verdient!“

Godfrey wandte sich ab und versuchte Akorths und Fultons Geschnatter auszublenden. Er musste sich konzentrieren. Es war an der Zeit, dass er zum Mann wurde und die geistreichen Scherze und Trinkwitze hinter sich lassen; echte Entscheidungen treffen, die echte Männer in der wirklichen Welt betrafen. Er spürte die Schwere der Entscheidung auf seinen Schultern. Er kam nicht umhin sich zu fragen, ob sein Vater sich auch so gefühlt hatte. So sehr er ihn auch gehasst hatte, fühlte er nun eine seltsame Verbundenheit mit seinem Vater. Wurde er etwa genauso wie er?

Er vergaГџ die Gefahren vor sich und eine Welle von Selbstvertrauen stieg in ihm auf. Er gab seinem Pferd die Sporen, schrie, und stГјrmte ins Tal hinunter.

Hinter ihm erhoben sich sogleich die Schlachtrufe seiner Männer und das Klappern der Hufe füllte die Luft.

Godfrey war schwindelig. Seine Haare wehten im Wind, der Wein war ihm zu Kopf gestiegen und er stГјrmte dem sicheren Tod entgegen und fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte.




KAPITEL FГњNF


Thor saß auf seinem Pferd, sein Vater auf der einen Seite, McCloud auf der anderen und auch Rafi war ganz in der Nähe.

Hinter ihnen saßen zehntausende von Empirekriegern, der Großteil von Andronicus Armee, und erwarteten diszipliniert und geduldig auf Andronicus Befehl. Sie waren auf einer Anhöhe und blickten in die Highlands hinauf. Die Gipfel waren mit Schnee bedeckt. Hoch oben in den Highlands lag die Stadt der McClouds, Highlandia, und Thor betrachtete angespannte, wie tausende von Kriegern die Stadt verließen und auf sie zuritten, um sich für die nächste Schlacht vorzubereiten.

Sie waren weder MacGils noch Krieger des Empire. Sie trugen eine RГјstung, an die sich Thor vage erinnerte; doch als er den Knauf seines neuen Schwerts umklammert hielt, war er sich nicht sicher wer sie waren oder ob sie sie angreifen wГјrden.

„Das sind McClouds. Meine Männer.“, sagte McCloud zu Andronicus. „Alles gute Krieger. Das sind Männer, mit denen ich einst trainiert und gekämpft habe.“

„Doch nun haben sie sich gegen dich gewandt.“, bemerkte Andronicus. „Sie reiten gegen dich in die Schlacht.“

McCloud machte ein Böses Gesicht. Mit nur einem Auge und dem Brandmal im Gesicht gab er ein groteskes Bild ab.

„Es tut mir Leid mein Herr“, sagte er. „Es ist nicht meine Schuld. Es ist das Werk meines Sohnes Bronson. Er hat meine eigenen Leute gegen mich aufgebracht. Wenn er nicht wäre, hätten sie sich schon längst uns angeschlossen.“

„Es ist nicht die Schuld deines Jungen.“, korrigierte ihn Andronicus kalt und wandte sich ihm zu. Es geschieht, weil du ein schwacher Anführer und ein noch schwächerer Vater bist. Dein Sohn ist dein Versagen. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht dazu in der Lage sein würdest, deine eigenen Männer unter Kontrolle zu halten. Ich hätte dich schon vor langer Zeit töten sollen.“

McCloud schluckte nervös.

„Mylord, ihr solltet daran denken, dass sie nicht nur gegen mich kämpfen, sondern gegen Euch. Sie wollen den Ring vom Empire befreien.“

Andronicus schüttelte den Kopf und ließ seine Finger über seine Kette mit den Schrumpfköpfen gleiten.

„Doch du bist jetzt auf meiner Seite“, sagte er. „Wer gegen mich kämpft, kämpft auch gegen dich.“

McCloud zog sein Schwert und sah grimmig auf die nahende Armee herab.

„Ich werde wenn es sein muss jeden einzelnen von ihnen töten.“, sagte er ernst.

„Ich weiß, dass du das tun wirst.“, sagte er. „Wenn nicht, dann werde ich dich töten. Nicht, dass ich deine Hilfe brauchen würde. Meine Männer werden viel mehr Schaden anrichten, als du dir vorstellen kannst, besonders wenn sie von meinem Sohn Thornicus angeführt werden.“

Thor saß auf seinem Pferd und hörte ihrem Gespräch zu, doch er hörte nichts. Er war benommen. In seinem Kopf schwirrten Gedanken, die nicht ihm gehörten, Worte pulsierten und erinnerten ihn an seine neue Bindung zu seinem Vater, an seine Pflicht, für das Empire zu kämpfen, an sein Schicksal als Andronicus� Sohn. Die Gedanken schwirrten unerbittlich durch seinen Geist und so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, einen klaren Kopf zu bekommen und einen eigenen Gedanken zu formulieren. Es war, als ob er ein Gefangener in seinem eigenen Körper war. Als Andronicus sprach, wurde jedes Wort zu einem Vorschlag in seinem Geist, und dann zu einem Befehl. Dann wurden diese Worte irgendwie zu seinen eigenen Gedanken. Thor wehrte sich dagegen, ein kleiner Teil von ihm versuchte, seinen Geist von diesen fremden Gefühlen zu befreien, Klarheit zu erlangen. Doch je mehr er sich wehrte, desto schwerer wurde es.

Während er auf seinem Pferd saß und zusah, wie die feindliche Armee über die Ebene ritt, fühlte er, wie das Blut durch seine Adern pulsierte, und das Einzige, woran er denken konnte, war seine Loyalität gegenüber seinem Vater, seine Verpflichtung jeden zu vernichten, der sich seinem Vater in den Weg stellte. Und an sein Schicksal, das Empire zu regieren.

„Thornicus. Hast du mich gehört?“, fragte Andronicus. „Bist du bereit, dich deinem Vater in der Schlacht zu beweisen?“

„Ja Vater.“, antwortete er und starrte geradeaus. „Ich werde jeden bekämpfen, der dich bekämpft.“

Andronicus grinste breit. Er wandte sich um und sah seine Männer an.

„Männer!“, polterte er. „Die Zeit ist gekommen, dem Feind entgegenzutreten, den Ring ein für alle Mal von den letzten Rebellen zu befreien. Wir werden mit diesen McClouds anfangen, die es wagen, sich uns zu widersetzen. Thornicus, mein Sohn, wird uns in die Schlacht führen. Ihr werdet ihm folgen so wie ihr mir folgt. Ihr werdet euer Leben genauso für ihn geben, wie ihr es für mich tun würdet. Verrat an ihm ist Verrat an mir!“

„THORNICUS!“, schrie Andronicus.

„THORNICUS!“ schrien Zehntausend Männer hinter ihnen wie aus einem Mund.

Ermutigt hob Thor sein neues Schwert hoch in die Luft. Das Schwert des Empire, das ihm sein geliebter Vater gegeben hatte. Er spürte eine Macht in dem Schwert, die Macht seiner Blutlinie, seines Volkes, von allem, was ihm das Schicksal bestimmt hatte. Endlich war er zu Hause. Vereint mit seinem Vater. Für seinen Vater würde Thor alles tun – sogar in den Tod gehen.

Thor stieß einen Schrei aus, gab seinem Pferd die Sporen und ritt allen anderen voraus hinunter ins Tal in die Schlacht. Hinter ihm erhoben sich die Schreie seiner Männer. Jeder einzelne von ihnen war bereit, Thornicus in den Tod zu folgen.




KAPITEL SECHS


Mycoples saß zusammengekauert und vollkommen in das riesige Akron-Netz verheddert und konnte sich weder strecken noch mit den Flügeln schlagen. Sie saß am Heck des Empire-Schiffs und so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie weder ihren Kopf nicht heben, ihre Beine bewegen noch ihre Krallen ausfahren. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so schrecklich gefühlt, nie einen solchen Mangel an Freiheit und Stärke empfunden. Sie war zusammengerollt und blinzelte langsam. Sie war niedergeschlagen – doch viel mehr wegen Thor als wegen ihrer Situation.

Mycoples konnte selbst aus dieser großen Entfernung Thors Energie spüren, selbst auf ihrem Schiff, dass durch gigantische Wellenberge und Täler segelte und ihr Körper von den Wellen, die über dem Deck zusammenbrachen hin und her gespült wurde. Mycoples konnte spüren, dass Thor sich in veränderte. Er wurde zu jemand anderem, war nicht mehr der Mann, den sie einst gekannt hatte. Es brach ihr das Herz. Sie gab sich die Schuld und hatte das Gefühl, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Sie versuchte wieder, sich aus dem Netz zu befreien, wollte so gerne zurück zu ihm um ihn zu retten. Doch es gelang ihr nicht.

Eine riesige Welle brach auf Deck und das schäumende Wasser der Tartuvianischen See umspülte sie und ihr Netz. Sie geriet ins Rutschen und schlug den Kopf an der hölzernen Reling an. Sie rollte sich zusammen und knurrte. Sie hatte einfach nicht mehr dieselbe Stärke und die Tatkraft wie vor ihrer Gefangennahme. Sie hatte sich in ihr neues Schicksal ergeben, wusste, dass sie sie fortbrachten um sie umzubringen, oder noch viel schlimmer, in ein Leben in Gefangenschaft. Es war ihr zwischenzeitlich egal. Alles was sie wollte war, dass Thor frei kam. Und sie wollte eine Gelegenheit, nur eine letzte Gelegenheit, sich an ihren Angreifern zu rächen.

„Das ist sie ja! Sie ist über das halbe Deck gerutscht!“, rief einer der Empirekrieger.

Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz an den empfindlichen Schuppen in ihrem Gesicht, und sie sah, wie zwei Krieger sie mit zehn Meter langen Stangen durch das Netz anstießen.

Sie wollte sich auf sie stürzen, doch das Netz verhinderte es. Sie knurrte, als sie sie immer weiter mit den Stöcken piesackten – sie lachten und hatten offensichtlich Spaß dabei.

„Jetzt ist sie gar nicht mehr so furchteinflößend, nicht wahr?“, sagte einer.

Der andere lachte und stieß sie gefährlich nahe an ihrem Auge an.

„Sie ist so harmlos wie eine Fliege!“, sagte ein anderer.

„Ich habe gehört, dass sie sie in der Hauptstadt ausstellen wollen.“

„Ich habe da etwas anderes gehört.“, sagte der erste. „Ich habe gehört, dass sie ihr die Flügel stutzen wollen und sie dafür, was sie unseren Männern angetan hat, foltern werden.“

„Ich wünschte ich könnte dabei sein.“

„Müssen wir sie wirklich heil abliefern?“, fragte einer.

„So sind die Befehle.“

„Aber ich sehe keinen Grund, warum wir sie nicht zumindest ein wenig quälen sollten. Sie braucht doch nicht wirklich beide Augen, was denkst du?“

Der andere lachte.

„So wie du es jetzt sagst, nein, wirklich nicht“, lachte er. „Na los.“

Einer der Männer trat näher an sie heran und hob seinen Speer hoch.

„Schön stillhalten, kleines Mädchen.“, sagte er.

Mycoples zuckte zusammen und war dem Krieger, der mit erhobenem Speer auf sie zu gerannt kam hilflos ausgeliefert.

Plötzlich brach eine neue Welle über dem Bug zusammen. Das Wasser riss den Krieger von den Füssen und er wurde direkt vor ihr Gesicht gespült – seine Augen vor Schreck weit aufgerissen. Unter riesiger Anstrengung gelang es ihr, eine ihrer Klauen gerade hoch genug zu heben, damit der Krieger unter sie rutschen konnte und sie jagte sie ihm durch den Hals.

Er kreischte und sein Blut sprudelte Гјberall hin, mischte sich mit dem Wasser, als er unter ihr starb.

Mycoples spГјrte ein klein wenig Befriedigung.

Der andere Krieger drehte sich um und rannte um Hilfe schreiend davon. Augenblicke später kam er mit einem Dutzend anderer zurück, die alle mit langen Speeren bewaffnet waren.

„Tötet das Biest!“

Mycoples war sich sicher, dass sie sie töten würden. Eine plötzliche unbändige Wut brandete in ihr auf, anders, als sie es je zuvor gespürt hatte. Sie schloss ihre Augen und betete zu Gott, er möge ihr einen letzten Energieschub gewähren.

Langsam spürte sie eine enorme Hitze in ihrem Bauch ihren Hals hinauf aufsteigen. Sie öffnete ihr Maul und stieß einen donnernden Schrei aus. Zu ihrer großen Überraschung wurde der Schrei von Feuer begleitet. Die Flammen schossen durch das Netz, und auch wenn das Feuer das Akron nicht zerstören konnte, hüllte doch eine Wand aus Feuer die Männer ein, die sie hatten angreifen wollen.

Sie schrien als ihre Körper Feuer fingen, und die meisten brachen an Deck zusammen, einige wenige sprangen über Bord. Mycoples lächelte.

Ein weiteres Dutzend Männer erschien und schwang dicke Knüppel. Mycoples versuchte, noch einmal Feuer zu speien.

Doch dieses Mal geschah nichts.

Gott hatte ihr Gebet erhört und ihr einen letzten Energieschub gewährt. Doch jetzt konnte sie nichts mehr tun. Sie war dankbar, dass er ihr zumindest diesen kleinen Triumph geschenkt hatte.

Die Männer prügelten mit ihren Knüppeln auf sie ein, und langsam spürte Mycoples ihre letzten Kräfte schwinden, sie rollte sich resigniert eng zusammen und war sich sicher, dass sich ihre Zeit auf dieser Welt dem Ende zuneigte.

Gnädige Finsternis hüllte sie ein.




KAPITEL SIEBEN


Romulus stand auf der Brücke seines riesigen Schiffs. Es war schwarz und gold bemalt und fuhr unter dem Banner des Empire, dem Löwen mit dem Adler im Maul, das stolz im Wind wehte. Er stand mit in die Hüften gestemmten Händen da, sein muskulöser Körper wirkte sogar noch breiter, als er wie fest verwurzelt an Deck stand und hinausblickte auf die leuchtenden Wellen der Ambrek See. In der Ferne kam gerade die Küste des Rings in Sicht.

Endlich.

Romulus� Herz machte einen Sprung als er das erste Mal die Küste des Rings sah. Er hatte ein paar Dutzend der besten Krieger persönlich ausgewählt, um mit ihm auf dem ersten Schiff allen anderen voran zu segeln, und hinter ihm folgten Tausende der besten Schiffe, die das Empire besaß.

Eine riesige Armada die das Meer bevölkerte, alle unter dem Löwenbanner. Sie waren beinahe um den gesamten Ring herumgesegelt, entschlossen auf der McCloud’schen Seite zu landen. Romulus war entschlossen, selbst in den Ring einzufallen, sich an seinen alten Meister Andronicus anzuschleichen, und ihn umzubringen, wenn er es am wenigsten erwartete.

Er lächelte bei dem Gedanken. Andronicus hatte keine Ahnung von der Macht und der Raffinesse seiner Nummer Zwei, und er würde beides bald am eigenen Leib erfahren. Andronicus hätte ihn nie unterschätzen sollen.

Riesige Wellen rollten vorbei und die kalte Gischt wehte ihm ins Gesicht. Er hielt den magischen Mantel, den er im Wald erhalten hatte, fest in den Händen, und er spürte, dass es funktionieren würde. Er war sich sicher, dass der Mantel ihn sicher über den Canyon bringen würde. Er wusste, dass er unsichtbar werden würde sobald er ihn anlegte, dass er den Schild durchdringen würde, um dann in den Ring einzudringen. Seine Mission erforderte Verschwiegenheit, Gerissenheit und einen großen Überraschungsmoment. Seine Männer konnten ihm natürlich zunächst nicht folgen, doch er brauchte sie nicht: Wenn er einmal im Ring war, würde er Andronicus� Männer finden – die Männer des Empire – und sie um sich scharen. Er würde sie aufspalten und seine eigene Armee bilden. Die Krieger liebten ihn mindestens genauso, wie sie Andronicus liebten. Er würde Andronicus eigene Männer gegen ihn führen. Sicher würden sich nicht alle ihm anschließen, und es würde einen Krieg geben. Doch das störte ihn nicht.

Romulus würde einen MacGil finden und ihn zurück über den Canyon bringen, so wie es der Mantel verlangte, und wenn die Legende wahr war, würde damit der Schild für immer zerstört werden. Dann würde er alle seine Männer rufen, und seine gesamte Armee würde hineinströmen und den Ring ein für alle Mal zerstören. Dann endlich würde Romulus der Herrscher über die ganze Welt sein.

Er holte tief Luft. Er konnte den Sieg schon fast schmecken. Sein ganzes Leben lang hatte er auf diesen Augenblick hingearbeitet.

Romulus blickte zum blutroten Himmel hinauf und betrachtete den riesigen Feuerball der zweiten Sonne, die gerade unterging. Zu dieser Tageszeit glühte sie tiefblau und purpurn. Zu dieser Tageszeit betete Romulus immer zu seinen Göttern, dem Gott des Landes, dem Gott der See, dem Gott des Himmels, dem Gott des Windes – und am allermeisten zum Gott des Krieges. Er wusste, dass er sie alle beschwichtigen musste und war vorbereitet: Er hatte genug Sklaven mitgebracht, die er ihnen opfern konnte, denn er wusste, dass ihr Blut ihm Macht verleihen würde.

Die Wellen rauschten um ihn herum, als sie sich der Küste näherten. Romulus wartete nicht auf die anderen, die die Seile hinabließen, sondern sprang direkt vom Bug, als das Schiff auf Sand lief. Gut sieben Meter weiter unten landete er hüfttief im eiskalten Wasser. Er zuckte nicht einmal.

Romulus watete ans Ufer als gehörte das Land bereits ihm und hinterließ seine Fußabdrücke im jungfräulichen Sand. Hinter ihm begannen seine Männer an den Seilen vom Schiff zu klettern, während ein Schiff nach dem anderen landete.

Romulus betrachtete wohlwollend was er bisher erreicht hatte, und lächelte. Es wurde dunkel, und er hatte die Küste zum perfekten Zeitpunkt erreicht, um den Göttern ein Opfer darzubringen. Er wusste, dass er ihnen dafür Dank zollen musste.

Er drehte sich zu seinen Männern um.

„MACHT FEUER!“, rief er.

Seine Männer beeilten sich, einen riesigen Scheiterhaufen zu bauen, fünf Meter hoch in der Form eines Dreiecks und bereit, angezündet zu werden.

Romulus nickte, und seine Männer zerrten ein Dutzend Sklaven herbei, die aneinander gefesselt waren. Sie wurden um den Scheiterhaufen herum angebunden und blickten mit Panik in den Augen um sich. Sie schrien und wehrten sich als sie die Fackeln sahen und sich der Tatsache bewusst wurden, dass sie bald bei lebendigem Leib verbrannt werden würden.

„NEIN“, schrie einer. „Bitte! Ich flehe dich an! Alles, nur nicht das!“

Romulus schenkte ihm keine Beachtung. Stattdessen wandte er sich ab streckte die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken.

„OMARUS!", rief er. „Gib uns Licht, damit wir sehen können. Nimm heute Nacht mein Opfer an. Begleite mich auf meiner Reise durch den Ring. Gib mir ein Zeichen und lass mich wissen, ob ich Erfolg haben werde!“

Romulus senkte seine Arme wieder und auf dieses Zeichen hin, warfen seine Männer ihre Fackeln auf den Scheiterhaufen.

Entsetzliche Schreie erhoben sich, als die Sklaven von den Flammen erfasst wurden. Funken flogen und Romulus stand mit glГјhendem Gesicht da und betrachtete das Schauspiel.

Er nickte, und seine Männer trugen eine blinde alte Frau auf einer Sänfte nach vorn. Sie beugte sich zu den Flammen vor, die ihr Gesicht erleuchteten. Es war von tiefen Falten durchzogen und ihr Körper vornüber gebeugt. Romulus sah sie geduldig an und wartete auf ihre Prophezeiung.

„Du wirst mit deinen Plänen Erfolg haben“, sagte sie. „Es sei denn, du siehst, wie sich die beiden Sonnen berühren.“

Romulus lächelte breit. Wie sollten sich die Sonnen berühren? Das war seit mehr als Tausend Jahren nicht mehr passiert.

Er fühlte sich ermutigt und es wurde ihm warm ums Herz. Das war genau das, was er hören wollte. Die Götter waren mit ihm.

Romulus griff seinen Mantel, stieg auf sein Pferd und gab ihm die Sporen. Er ritt alleine Гјber den Strand auf die StraГџe, die ihn zur Г–stlichen Querung und Гјber den Canyon fГјhren wГјrde. Mitten ins Herz des Rings.




KAPITEL ACHT


Selese und Illepra liefen zwischen den Überresten des Schlachtfelds hindurch. Sie gingen von einem Körper zum nächsten und suchten nach Lebenszeichen. Es war ein langer, harter Marsch von Silesia hierher gewesen, und die beiden waren zusammengeblieben, als sie der Armee folgten und sich um die Verwundeten kümmerten. Sie hatten sich von den anderen Heilern abgesondert und waren Freundinnen geworden – die Not schweißte sie zusammen.

Sie waren fast gleich alt und ähnelten einander sehr. Doch was noch viel wichtiger war – beide liebten sie einen MacGil Jungen. Selese liebte Reece, und so sehr Illepra sich auch dagegen wehrte: Sie liebte Godfrey.

Die Mädchen hatten sich größte Mühe gegeben, mit der Armee mitzuhalten, während sie durch Felder und Wälder und über matschige Straßen zogen und dabei die Gegend nach Verletzten MacGil Kriegern durchkämmten. Leider fiel ihnen das nicht schwer. Viel zu viele von ihnen lagen in der Landschaft verstreut. Manchen konnte Selese helfen, doch in vielen Fällen war das Beste, was Illepra und sie tun konnten, ihre Wunden zu versorgen und ihre Schmerzen mit Elixieren zu lindern um ihnen einen friedlichen Tod zu ermöglichen.

Es brach Selese das Herz. Sie war ihr ganzes Leben lang Heilerin in ihrem kleinen Dorf gewesen und war nie mit derart schweren Verletzungen konfrontiert gewesen. Ihr Alltag hatte aus Kratzer, Schnitten, ein paar gebrochenen Knochen und einem gelegentlichen Forsythenbiss bestanden. Doch dieses Blutvergießen hier hatte unglaubliche Ausmaße. Die schiere Anzahl der verletzten, ihre schrecklichen Wunden, und all die Toten überwältigten sie. Sie war zutiefst traurig.

In ihrem Beruf wollte Selese die Menschen heilen, sehen, wie es ihnen gut ging; doch seit sie aus Silesia aufgebrochen waren, hatte sie nichts gesehen als eine nichtendenwollende Spur von Blut. Wie konnten Männer einander nur so schreckliche Dinge antun? Sie waren doch alle Söhne ihrer Mütter. Sie waren Brüder, Väter und Ehemänner. Wie konnten die Menschen nur so grausam sein?

Die Tatsache, dass sie nicht allen helfen konnte, brach ihr das Herz. Die Menge der Medikamente, die sie bei sich trug war beschränkt, und angesichts des langen Marsches war es nicht viel. Die anderen Heiler waren über den ganzen Ring verteilt. Sie waren wie eine eigene Armee, doch sie waren weit verstreut und ihre Vorräte an Elixieren und Heilmitteln war beschränkt. Ohne Pferdekarren und Helfern konnten sie nur das mit sich führen, was sie tragen konnte.

Selese schloss die Augen und holte tief Luft. Doch sie sah immer noch die Gesichter der Verwundeten vor sich. Zu oft hatte sie heute schon Kriegern mit tödlichen Verletzungen geholfen die vor Schmerzen schrien, hatte zusehen müssen, wie ihre Augen glasig wurden und ihnen Blatox gegeben.

Blatox war ein sehr effektives Schmerz- und Beruhigungsmittel. Doch es konnte eine eiternde Wunde nicht heilen oder eine Infektion aufhalten. Ohne all ihre Kräuter war das alles, was sie tun konnte. Ihr war zum Weinen und zum Schreien zumute.

Selese und Illepra knieten wenige Meter voneinander entfernt neben verwundeten Kriegern und waren damit beschäftigt ihre Wunden zu vernähen. Selese hatte dieselbe Nadel schon viel zu oft verwenden müssen, und wünschte, sie hätte eine saubere. Doch sie hatte keine Wahl. Der Krieger schrie vor Schmerz als sie versuchte, eine lange klaffende Wunde an seinem Arm zuzunähen, die nicht aufhören wollte zu bluten. Selese versuchte mit dem Druck ihrer Hand die Blutung zu stoppen.

Doch es war ein aussichtsloser Kampf. Wenn sie nur einen Tag früher bei diesem Mann gewesen wäre, wäre es nicht schlimm gewesen. Doch jetzt schob sie das Unvermeidliche nur auf.

„Es wird alles gut“ redete ihm Selese zu.

„Das wird es nicht.“, sagte er, und der Tod blickte sie durch seine Augen an. Es war ein Anblick, den sie in den letzten Tagen schon viel zu oft gesehen hatte. „Sag mir Heilerin, muss ich sterben?“

Selese hielt den Atem an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte nicht lГјgen, doch sie konnte es nicht ertragen, es ihm zu sagen.

„Unser Schicksal liegt in den Händen unserer Schöpfer. Es ist nie zu spät für uns. Hier, trink das.“, sagte sie und setzte ihm ein kleines Fläschchen mit Blatox an die Lippen, während sie ihm über die Stirn strich.

Sein Blick wurde trГјb und er wirkte friedlich.

„Ich fühle mich besser“, sagte er.

Augenblicke später schloss er die Augen.

Eine Träne rollte Selese über das Gesicht und sie wischte sie schnell fort.

Auch Illepra war mit der Versorgung ihres Verwundeten fertig, und stand auf. Widerwillig gingen sie gemeinsam weiter, und kamen an immer mehr Toten vorbei. Während sie der Armee folgten, kamen sie immer weiter nach Osten.

„Können wir hier überhaupt irgendetwas ausrichten?“, fragte Selese schließlich nach einer langen Stille.

„Natürlich“, antwortete Illepra.

„Es kommt mir nicht so vor.“, sagte Selese. „Wir konnten nur so wenige retten und haben so viele verloren!“

„Doch was ist mit den wenigen, die wir retten konnten?“, gab Illepra zurück. „Sind die denn gar nichts Wert?“

Selene dachte nach.

„Natürlich sind sie das“, sagte sie. „Doch was ist mit den anderen?“

Sie schloss die Augen und musste an sie denken, doch ihre Gesichter verschwammen.

Illepra schГјttelte den Kopf.

„Du denkst falsch. Du bist ein Träumer, zu naiv. Du kannst nicht jeden retten! Wir haben diese Krieg nicht angefangen, wir können nur hinter all der Zerstörung herlaufen und unser Bestes tun.“

Sie liefen still weiter gen Osten. Selese war dankbar, dass Illepra bei ihr war. Sie hatten einander Gesellschaft geleistet und Trost gespendet, hatten ihre Erfahrungen und Heilmittel unterwegs ausgetauscht. Selese war erstaunt über Illepras breites Angebot an Kräutern – darunter etliche, die sie nie gesehen hatte; Illepra wiederum war erstaunt über all die einzigartigen Salben, die Selese in ihrem kleinen Dorf entwickelt hatte. Die Mädchen ergänzten einander gut.

Als sie weiterliefen und nach Überlebenden suchten, wanderten Seleses Gedanken wieder einmal zu Reece. Trotz allem, was um sie herum geschah konnte sie ihn nicht aus ihrem Kopf bekommen. Sie war den ganzen Weg bis nach Silesia gereist, um ihn zu finden und bei ihm sein zu können. Doch das Schicksal hatte sie viel zu schnell wieder auseinandergerissen und in unterschiedliche Richtungen geschickt. Sie fragte sich immer wieder, ob Reece sicher war. Sie fragte sich wo er war. Und jedem Leichnam, an dem sie vorüber kam blickte sie voller Angst ins Gesicht und betete, dass es nicht Reece war. Ihr Magen zog sich bei jedem toten Körper zusammen bis sie ihn umdrehte, und sah, dass es jemand anderes war. Und insgeheim stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus.

Doch sie war bei jedem Schritt bis zum Äußersten angespannt, immer in der Angst, dass sie ihn unter den Verwundeten – oder schlimmer noch – unter den Toten finden könnte. Sie wusste nicht, ob sie das verkraften könnte.

Sie war fest entschlossen, ihn zu finden, tot oder lebendig. Sie war so weit gereist, und sie wГјrde nicht umkehren, bis sie herausgefunden hatte, was ihm zugestoГџen war.

„Ich habe bisher kein Zeichen von Godfrey gesehen“, sagte Illepra und kickte ein paar Steine vor sich her.

Illepra hatte seit sie aufgebrochen waren immer wieder von Godfrey gesprochen, und es war offensichtlich, dass sie in ihn verliebt war.

„Ich auch nicht“, sagte Selese.

Es war ein permanenter Dialog zwischen den beiden Mädchen, die in die Brüder Reece und Godfrey verliebt waren – zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnte. Selese konnte wenn sie ehrlich war nicht verstehen, was Illepra an Godfrey fand. Für sie war er nicht viel mehr als ein Trunkenbold, ein alberner Kerl, den man nicht ernst nehmen konnte. Er war witzig, geistreich und amüsant. Aber er entsprach ganz sicher nicht den Vorstellungen, die Selese von einem Mann hatte. Selese wollte einen Mann, der aufrichtig, ernsthaft und gefühlstief war. Sie sehnte sich nach einem ritterlichen Mann von Ehre – und Reece vereinte all diese Eigenschaften in sich.

„Ich habe keine Ahnung, wie er all das hier überlebt haben soll.“, sagte Illepra traurig.

„Du liebst ihn, nicht wahr?“ fragte Selese.

Illepra wurde rot und wandte den Blick ab.

„Ich habe nie etwas davon gesagt, dass ich ihn liebe“, sagte sie defensiv. „Ich mache mir nur Sorgen um ihn. Er ist nicht mehr als ein Freund.“

Selese lächelte.

„Ist er das? Warum kannst du dann nicht aufhören, über ihn zu sprechen?“

„Tue ich das?“, fragte Illepra überrascht. „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Ja, die ganze Zeit über.“

Illepra zuckte mit den Schultern und wurde still.

„Ich denke, er ist mir irgendwie unter die Haut gefahren. Manchmal macht er mich so wütend. Ich muss ihn andauernd aus der Taverne wegschleifen. Und jedes Mal verspricht er mir, dass er nicht wieder dorthin zurückgehen wird. Doch er tut es immer wieder. Das macht mir wirklich wahnsinnig. Wenn ich könnte, würde ich ihn dann am liebsten verprügeln.“

„Bist du deshalb so versessen darauf, ihn zu finden?“, sagte Selese. „Um ihn zu verprügeln?“

Nun musste Illepra lächeln.

„Vielleicht nicht nur.“, sagte sie. „Vielleicht möchte ich ihn auch in die Arme nehmen.“

Sie kamen um eine Biegung hinter einen Hügel und fanden einen verletzten Krieger, einen Silesier. Er lag stöhnend unter einem Baum und sein Bein war gebrochen. Selese konnte es schon von hier aus sehen. Neben ihm, an den Baum gebunden, waren zwei Pferde.

Sie eilten zu ihm hinГјber.

Als Selese sich daran machte, seine Wunde zu versorgen, einen tiefen Riss in seinem Oberschenkel konnte sie es nicht lassen auch ihn zu fragen, was sie jeden anderen Krieger dem sie vor ihm begegnet war gefragt hatte:

„Hast du irgendjemanden von der königlichen Familie gesehen?“, fragte sie. „Reece vielleicht?“

Doch alle hatten den Kopf geschüttelt und Selese hatte sich schon so sehr an die Enttäuschung gewöhnt, dass sie beinahe eine negative Antwort erwartete.

Doch zu ihrer Гњberraschung nickte der Mann zustimmend.

„Ich bin nicht mit ihm geritten, Mylady, aber ich habe ihn gesehen.“

Seleses Augen weiteten sich Гјberrascht und voller Hoffnung.

„Lebt er? Ist er verletzt? Weißt du, wo er ist?“, fragte sie, und ihr Herz schlug schneller.

Er nickte.

„Ich weiß, wo er ist. Er ist auf einer besonderen Mission. Er soll das Schwert zurückbringen.“

„Welches Schwert?“

„Na das Schwert des Schicksals!“

Sie sah ihn verwundert an. Das Schwert des Schicksals, um das sich so viele Legenden rankten.

„Wo?“, bohrte sie verzweifelt nach. „Wo ist er?“

„Er ist zur Östlichen Querung gegangen.“

Die Г–stliche Querung, dachte Selese. Das war weit weg. So schrecklich weit weg! Das konnte sie niemals zu FuГџ schaffen. Nicht in diesem Tempo. Und wenn Reece dort war, war er sicherlich in Gefahr. Sie war sich sicher, dass er sie brauchte.

Als sie mit der Versorgung seiner Wunde fertig war, sah sie zu den beiden Pferden hinГјber, die am Baum angebunden waren. Mit seinem gebrochenen Bein konnte der Mann sie kaum reiten. Die Pferde waren nutzlos fГјr ihn. Und wenn sich niemand um sie kГјmmerte, wГјrden sie bald sterben mГјssen.

Der Krieger beobachtete sie.

„Nehmt sie, Mylady“, bot er an. „Ich werde sie kaum brauchen können.“

„Aber sie gehören dir“, sagte sie.

„Ich kann nicht reiten. Nicht so. Ihr könnt sie gut gebrauchen. Nehmt sie und findet Reece. Es ist eine lange Reise von hier bis zur Östlichen Querung. Viel zu anstrengend, um sie zu Fuß zu unternehmen. Ihr habt mir so sehr geholfen. Ich werde nicht sterben. Ich habe Wasser und Essen für mindestens drei Tage. Hier kommen immer wieder Patrouillen vorbei. Sie werden mich mitnehmen. Nehmt sie und beeilt Euch.“

Voller Dankbarkeit drГјckte sie seine Hand. Entschlossen wandte sie sich Illepra zu.

„Ich muss gehen und Reece finden. Es tut mir leid. Aber es gibt zwei Pferde hier. Du kannst das andere nehmen und hingehen wo immer du willst. Ich muss den Ring zur Östlichen Querung durchreiten. Es tut mir so leid, aber ich muss dich verlassen.“

Selese stieg auf und war Гјberrascht als Illepra geschickt auf das zweite Pferd sprang.

Sie sah Selese lächelnd an.

„Hast du wirklich geglaubt, dass ich dich alleine gehen lassen würde – nach allem, was wir durchgemacht haben?“ fragte sie.

„Wahrscheinlich nicht“, gab Selese lächelnd zurück.

Sie gaben den Pferden einen tritt und ritten los, die StraГџe entlang immer weiter nach Osten. Dorthin, so betete Selese, wo sie Reece finden wГјrde.




KAPITEL NEUN


Gwendolyn bückte sich und zog ihren Hals ein als sie im Schneegestöber gegen den Wind durch die endlose weiße Weite lief. Dicht bei ihr waren Alistair, Steffen, Aberthol und Krohn.

Es waren Stunden vergangen, seit sie den Canyon überquert hatten und ins Reich der Toten eingedrungen waren. Gwen war erschöpft. Ihre Muskeln zitterten und ihr Bauch schmerzte. Messerscharfer Schmerz durchfuhr sie, wenn sich das Baby immer wieder mal bewegte.

Es war eine weiße Welt. Der Schnee fiel unbarmherzig auf sie herab und am Horizont zeichnete sich keine Atempause ab; die Landschaft schien sich grenzenlos weiter zu erstrecken. Es war, als ob sie am Ende der Welt angekommen wären.

Es war sogar noch kälter geworden, und trotz ihrer Felle spürte Gwendolyn die Kälte bis in die Knochen. Ihre Hände waren vollkommen taub.

Sie sah zu den anderen hinüber und konnte sehen, dass auch sie froren. Sie kämpften gegen die Kälte an, und Gwendolyn fragte sich zum wiederholten Male, ob es nicht ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Selbst wenn Argon hier war, wie sollten sie ihn jemals in dieser weißen Einöde finden? Es gab keinerlei Spuren, keine Wege, sie hatte keine Ahnung wohin sie unterwegs waren und Gwendolyn wurde immer verzweifelter. Sie wusste nur, dass sie vom Canyon fort liefen, immer weiter nach Norden. Selbst wenn sie Argon finden konnten, wie sollten sie ihn befreien? Konnte man ihn überhaupt befreien?

Gwendolyn spürte, dass sie an einem Ort waren, der nicht für Menschen bestimmt war – ein übernatürlicher Ort der Zauberer, Druiden und geheimnisvoller Magie, die sie nicht verstehen konnte. Sie hatte das Gefühl, dass sie hier alles andere als willkommen war.

Gwen spГјrte wieder einen stechenden Schmerz in ihrem Bauch und konnte fГјhlen, wie sich das Baby immer wieder drehte. Dieses Mal war es so intensiv, dass sie den Atem anhalten musste und einen Moment lang das Gleichgewicht verlor.

Steffen griff ihr stГјtzend unter den Arm.

„Mylady, geht es Euch gut?“, fragte er.

Gwen schloss die Augen und holte tief Luft. In ihren Augen standen Tränen, doch sie nickte. Sie hielt kurz an und legte die Hand auf ihren Bauch. Das Baby war offensichtlich alles andere als glücklich, hier zu sein – genauso wenig wie sie.

Gwen atmete tief durch bis der Schmerz endlich nachließ. Sie fragte sich wieder einmal, ob sie hier nicht fehl am Platze war; doch sie dachte an Thor, und ihr Wille, ihn zu retten, war stärker als alles andere.




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